Die 2-Klassen-Generationen-Gesellschaft im Marketing

„Man kann nicht gleichzeitig TikTok und Telekolleg sprechen.“

Stellen Sie sich vor: Eine Anti-Aging-Creme wird von einer 25-jährigen beworben, die noch nie eine Falte aus der Nähe gesehen hat. Absurd? Alltag! Willkommen in der schizophrenen Welt des Generationen-Marketings, wo wir so tun, als könnten wir alle gleichzeitig ansprechen.

Wir leben in einer demografischen Zeitenwende. Über 50% der EU-Bevölkerung werden 2030 über 50 Jahre alt sein. Die Silver Society ist längst keine Randgruppe mehr – sie ist die dominierende Käufergruppe mit der höchsten Kaufkraft. Trotzdem klebt das Marketing hartnäckig am Jugendwahn fest, als wären wir noch in den 1990ern.

Die unbequeme Wahrheit: Wir haben eine Marketing-Zweiklassengesellschaft erschaffen. Nicht aus Absicht, sondern aus Angst, Trägheit und falscher Nostalgie.

Die große Marketing-Illusion:
One Size Fits None

Klasse 1: Die Jugend-Obsession

Schauen Sie sich die Werbelandschaft an:

  • Instagram-Influencer verkaufen Rentenvorsorge
  • 20-Jährige erklären uns Work-Life-Balance
  • Anti-Aging wird an faltenfreien Gesichtern demonstriert
  • Seniorenhandys werden wie Teenager-Gadgets beworben

Diese Klasse bedient den Mythos ewiger Jugend. Selbst Produkte für ältere Zielgruppen werden durch den Jugendfilter gepresst, als hätten wir kollektive Angst vor authentischen Altersbildern.

Klasse 2: Die Alters-Karikatur

Wenn Marketing sich dann doch mal an Ältere wendet, passiert oft das andere Extrem:

  • Überdeutliche Großschrift, als wären alle 60+ halbblind
  • Beige-graue Farbwelten, die vor Langeweile stöhnen
  • Stereotype vom rüstigen Rentner mit Nordic-Walking-Stöcken
  • Technologie-Erklärungen im Schneckentempo

Diese Klasse reduziert eine vielfältige Generation auf Klischees und Defizite. Als ob alle über 50 plötzlich zu einer homogenen Masse langsamer, vorsichtiger Konsumenten mutieren würden.

Das Dilemma: Warum Zwitter-Marketing nicht funktioniert

Marketer träumen vom universellen Ansatz – eine Kampagne für alle Generationen. Die Realität zeigt: Es funktioniert nicht. Warum?

Verschiedene Mediennutzung: Während Gen Z auf TikTok virale Tänze studiert, liest die Silver Society noch gedruckte Zeitungen. Ein QR-Code in der Tageszeitung ist genauso sinnlos wie eine ganzseitige Anzeige auf Snapchat.

Unterschiedliche Wertesysteme: Nachhaltigkeit bedeutet für Millennials vegane Ernährung, für Boomer langlebige Produkte. Beides ist Nachhaltigkeit, aber komplett anders kommuniziert.

Divergierende Ästhetik: Was für die einen hip und modern ist, wirkt auf die anderen hektisch und unübersichtlich. Minimalismus kann sowohl stilvoll als auch lieblos interpretiert werden.

Andere Humor-Codes: Memes und Insider-Jokes funktionieren generationsspezifisch. Was Gen Z zum Lachen bringt, versteht die Silver Society oft nicht mal.

Case Study: Das Kosmetik-Paradox

Nirgends wird die Schizophrenie deutlicher als in der Kosmetikwerbung:

  • Das Problem: Anti-Aging-Produkte für 50+ werden von 25-jährigen Models beworben
  • Die Ausrede: „Aspirational Marketing“ – man verkauft ein Ideal
  • Die Realität: Frauen 50+ fühlen sich nicht angesprochen, sondern verhöhnt
  • Die Lösung: Dove’s „Real Beauty“ Kampagne mit echten Frauen jeden Alters


Dove bewies: Authentizität verkauft besser als Illusion. Aber es bildet noch die Ausnahme

Der radikale Vorschlag: Echte Zielgruppentrennung

Was wir brauchen:

1. Klare Positionierung: Entscheidet euch! Jung oder Alt, aber nicht „junggebliebene Best Ager“ und ähnliche Wortakrobatik.

2. Authentische Bildsprache:

  • Für Silver Society: Echte Menschen mit echten Falten in echten Lebenssituationen
  • Für Gen Z: Native digitale Ästhetik ohne erzwungene Coolness


3. Medienspezifische Strategien
:

  • Print und TV für Silver Society (ja, die gibt’s noch!)
  • TikTok und Instagram für Gen Z (nein, Facebook ist nicht mehr jung)


4. Differenzierte Tonalität
:

  • Respektvoll und informativ für Ältere
  • Schnell und unterhaltend für Jüngere

Best Practice: Wenn Trennung funktioniert

Beispiel 1: L’Oréal’s Age Perfect

  • Klare Positionierung: Produkte für reife Haut
  • Markenbotschafterin: Helen Mirren (70+)
  • Resultat: Marktführer im Anti-Aging-Segment 60+

Beispiel 2: Supreme vs. Woolrich

  • Supreme: Streetwear für Gen Z, Drop-Culture, Social Media
  • Woolrich: Heritage-Mode für Silver Society, Qualität, Tradition
  • Beide erfolgreich in ihrer jeweiligen Zielgruppe
Die 2-Klassen-Generationen-Gesellschaft ist kein Problem – sie ist eine Chance! Marken müssen sich nicht mehr verbiegen, um allen zu gefallen. Sie können:
  • Authentisch für ihre Kernzielgruppe sprechen
  • Echte Expertise für spezifische Bedürfnisse entwickeln
  • Tiefere Beziehungen zu ihrer Community aufbauen
  • Klare Markenpersönlichkeit entwickeln

Spezialisierung statt Generalisierung

Fazit: Die Befreiung durch Entscheidung

Die Zukunft gehört nicht den Marken, die allen alles versprechen. Sie gehört denen, die sich trauen zu sagen: „Wir sind nicht für alle da – aber für euch sind wir perfekt.“

In einer Welt, in der fünf Generationen gleichzeitig konsumieren, ist der Versuch, alle anzusprechen, zum Scheitern verurteilt. Die wahre Kunst liegt in der mutigen Entscheidung: Für wen sind wir da? Und für wen explizit nicht?

Die 2-Klassen-Generationen-Gesellschaft existiert bereits. Zeit, dass das Marketing diese Realität akzeptiert und nutzt, statt sie zu leugnen.

Denn manchmal ist Trennung der bessere Weg zur Verbindung.

The Silverpreneur – Wir wissen, für wen wir da sind.